Leseprobe:
Theoria Diffusa, 
von Rainer Langhans

Im Dritten Reich wurde der Versuch unternommen, in einem Sturmlauf den Körper als Schranke vor der direkten Erfahrung des Geistes niederzurennen, indem er bis über seine Grenzen hinaus gefordert wird. Er sollte dadurch zur Stätte mystischer Erfahrung werden. Mensch und Umwelt hießen daher damals Blut und Boden. Durch freiwillige Folter sollte der Körper gestählt, durch Höherzüchtung kollektiv für den neuen Menschen, den ›Übermenschen‹, ein brauchbares Gefäß höherer Kräfte werden. Diese Folter wurde weitergegeben an ›Untermenschen‹, zu

ihrem Besten, um sie zu Menschen zu machen. Ordensburg und KZ - jedem das Seine. Das Ziel: Die Hochrasse, die alles Niedere in einer gigantischen Bemühung, dem totalen Krieg ausgemerzt hat und dadurch das Göttliche in sich befreit, zum Lichtträger wird. Das Dritte Reich. Verrückt? Schön wär's. Schauen wir mal: Der Sucher nach Licht, nach höherer Erfahrung, lernt seine Trägheit als Ursache seiner Gefangenschaft in einem armseligen Leben kennen. Diese Trägheit

symbolisiert sich für ihn im Körper. Die Identifikation mit seiner Grobheit und Härte, mit allem Stofflichen, hindert ihn an höheren Erfahrungen reinerer, feinerer Art. Wie kann man dies Hindernis überwinden? Bis hierher sind sich alle Religionen und esoterischen Wege einig. Nun aber scheiden sich die Wege - zunächst. Hitler,

der Deutsche, will den bislang untauglichen Körper veredeln,

›durchlichten‹. Wie kann das gehen? Ihm seine Trägheit austreiben.

Lieber tot als Sklave des Körpers, des kleinen Lebens. Diesem ewigen Zukurzgekommensein ein Ende machen. Die Deutschen als spirituell Zukurzgekommene. Revolution mit allen Mitteln -  bis zum Untergang der Welt. Es muss diesmal werden, die Endzeit ist da. Jetzt oder nie.

Erbarmungslose Reinigung. Wie Phönix aus der Asche, die neue Rasse. Der neue Mensch. Wie viel Qualen braucht der körperfixierte Mensch, bis er loslässt und sich dadurch seiner ›Lichtheimat‹ bewusst wird?   

Bis heute läuft das große Experiment nicht nur in den Folterländern, deren Vorbild Hitler ist. Zu Recht, denn er bekannte sich zu dieser Wirklichkeit, die heute wieder, verdeckt durch Friedensparolen, über Atom- und Umwelttod weitergeht. Die nächste Drehung der alten Schraube, gestern Blut und Boden. Ja, wir befinden uns am Ende des Dritten Weltkrieges. Atom und materielle Befriedigung, heute Umwelt, waren ja wie Blut und Boden zunächst Begriffe des Wachstums in eine neue, lichtere Zeit. Doch dann wurde Krieg aus der Absicht, so ins

Licht zu wachsen, totaler Krieg, an dessen Ende die physische

Vernichtung beider steht. Heute wieder! Wann begreifen wir? Es geht nun mal nicht im Körper. Quäl dich nicht weiter! Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Aber wie komm' ich dann raus? Innen. All Projektionen eine Zeitlang zurückziehen. Sterben im Leben kann nur jeder für sich. Der innere, totale Krieg, ich weiß. Hilfe suchen dafür. Soll's geben. Draußen Frieden dann. Haben wir auch kollektiv eine Chance? Wenn viele auf den inneren Krieg und Frieden umsteigen, dann wird das äußere Kriegspotential unterkritisch. Vielleicht ist der Wandel von Blut zu Atom und Boden zu Umwelt eine hoffnungsvolle Verfeinerung, Verinnerlichung des Krieges. Nicht mehr grober Körper. Anfassen

nur noch Vorstellen, Kopfkriege.


Rainer Langhans, Theoria Diffusa, 1986, 197 - 1