Biographie: Christa Ritter
Christa Ritter (geboren 1942) schloss sich 1978 der weiblichen Kommune "Harem" an. Art Buyer, Agentin für Internationale Fotografen, Autorin, Publizistin, Doku-Regisseurin mit Rainer Langhans. Ihr Film Schneeweissrosenrot erhielt den Grimme-Preis.
Christa's Weg nach innen
Ich wurde noch während des Krieges in eine liberal-bürgerliche Familie in Berlin geboren. Die Märchen, die meine Oma vorlas, liebte ich: Die abenteuerlichsten Verwünschungen führten zu einem guten Ende. Als Extravertierter würde mir also mein Leben auch durch Dick und Dünn gelingen. Meine Eltern, später die Lehrer des katholischen Mädchengymnasiums bauten mir entsprechend notwendige Zäune nach engen Regeln. Darin no fun for the girls. Mit meiner rücksichtslosen Art eckte ich daher so an, dass ich noch vor dem Abitur abging.
Die Zäune eines autoritären „Nein“ hatten mich zunächst eingeschüchtert. Umso heller schien 68. Ich bewarb mich bei der angesagtesten Werbeagentur und plötzlich gab es die Zäune nicht mehr, ich bewegte mich unter kreativen Freunden: Alles war möglich. Fast rauschhaft segelte ich durch diese Welt des Scheins und der schönen Fotos. Dann wagte ich sogar Selbständiges: als Agentin für Fotografen und als Betreiberin einer Boutique. Daneben Parties, wechselnde Liebhaber, Reisen – ich feierte weiter meine Extraversion, bis ich langsam in den schönen Oberflächen „versandete“.
Aber Introvertiertes machte mir Angst. Frauenbewegt beschuldigte ich daher die Männer: Ihr müsst euch und diese gewalttätige Welt ändern! Während ich mich endlich in eine WG zurückzog. Als mein wichtigster Freund mit dem Auto tödlich verunglückte, spürte ich zwar meinen Anteil an seinem Tod, aber verdrängte diese Ahnung schnell. Drogen, TM-Meditation, Therapie – und ich spielte umso verzweifelter den fröhlichen Kumpel.
Selbstmord oder doch „Introversion“? Ich entschied mich für München als deutsches Mekka der Filmkunst, um mir im Filmemachen endlich tiefer zu begegnen. Bei einem Dreh traf ich den Kommunarden Rainer Langhans, einen stillen, ernsten Mann, der sich verstörend „anders“ verhielt. Ich fragte ihn und er schonte mich nicht: Du bist kein Opfer der Männer, du bist die Kranke. Es ist dein „Nein“ zu dir selbst, deinem Inneren, bist deshalb unbewusst sehr gewalttätig. Ich war schockiert und doch hörte ich in mir eine leise Stimme: Endlich!
Um Rainer hatte sich bereits eine Gruppe Frauen gebildet. Statt die alte Welt nur zu verneinen, hatten sie als Alternative eine weibliche Kommune der Selbstrevolution als Erfindungen in selbstbezogener Weiblichkeit gegründet. Darin sah ich auch eine Chance für mich. Unsere revolutionäre Praxis: einfach leben statt Konsum, innere Selbstsuche als letztlich spirituellen Weg. In langen Sessions konfrontierten wir uns zunächst mit unserer Opferrolle: Wir Frauen fingen an, uns als Täterinnen weiblicher Gewalt zu entdecken, eines unbewussten Besitzwahns als Macht des weiblichen Faschismus. Kreischend eifersüchtige Rivalinnen, übelste Bitches… krass.
Die tägliche Praxis war beängstigend und großartig zugleich: Die mir so unbewusste Hölle, dahinter vielleicht der Himmel! Als Extravertierte würde ich nach dieser ersten Phase mit der Wandlung meines „Nein“ in ein „Ja“ im Außen beginnen müssen. Ich fing also an, mit Rainer an Medien-Projekten zu arbeiten. Zunächst Schreiben lernen, um im jungen Journalismus einzusteigen, wir gingen dann über in TV-Dokus inkl. Grimme-Preis. In allen Projekten übte ich mein „Ja“ als eine positive Vision, dem 68er Gefühl von Make Love not War. Ich begann als „seine Sekretärin“ und bereiste dabei zwar fantastische Welten, aber die Kränkung ließ nicht lange auf sich warten. Das Ergebnis: Das vertraute „Nein“ als Sabotage, die ich hartnäckig leugnete. Ich doch nicht, immer nur die anderen! Mein Blick festgetuckert: starr nach außen gerichtet. Die Frauen nannten mich in dieser Brutalität „Riefenstahl“ oder „Feldwebel“, auch „Rainers Propagandistin“.
Unsere Kommune Einzelner, lange von der Presse als Harem verkannt, verhandelte miteinander jeden persönlichen „Wahnsinn“, manchmal sogar auch offen mit Interessierten von draußen: Gefühle bis ins Intimste bedeuteten somit häufig extremste Erregung. Solch „schwarze Sitzungen“ als Scheitern aus kranken Mustern hatten eine hohe Qualität, waren aber für jede von uns auch verwirrend wie sehr anstrengend. Danach langer Rückzug, verstärkte Meditation, Tage in der Natur. In meiner ahnungslosen Großfrauensucht, Extraversion genannt, erwartete ich schnelle Erfolge, um enttäuscht festzustellen, dass ich kaum einen Millimeter gegangen war. Weiterhin lag die Action bei Rainer, nie bei mir. Abbruch! Depressiv verschwand ich immer wieder in der Ecke, resignierte und bedauerte meinen schwierigen Weg. Dass auch meine Gefährtinnen nach ihren Abstürzen immer wieder zurückkamen, stützte auch mich.
Irgendwann erzählten wir davon in Talkshows, später in den Sozialen Medien. Aber auf dem schwierigen Weg weiblicher Selbst-Erkenntnis waren wir Avantgarde: Auf die Meisten da draußen wirkten wir wie hysterische Außerirdische. Ich kam mir ja oft selbst wie ein Freak vor, ständig gefühlt als Rainers „Sekretärin“. Dann machte er mir wieder Mut: Also übte ich für ein „Ja“ zu mir mehr Meditation und las spirituelle Schriften. So verlierst du dein Leben, jaulten schon wieder in mir alle eitlen, trägen Geister. Ich besann mich und blieb dran. Vor mir weitere aufregendste Bühnen: Piratenpartei, Events, meine Reportage über unsere Indien-Reise, meine Auftritte im Internet mit seinen sozialen Medien, zuletzt die Herausgabe von zwei Rainer-Büchern im Selbstverlag. Immer als Exerzitien einer „Sekretärin“ auf ihrem Weg raus aus Rainer’s Schatten, damit raus aus der eigenen Opfer-Fixierung, hin zu der unbekannten Täter-Frau in mir als notwendiger Anfang jeder Spiritualität.
Es hat lange gedauert, bis ich deutlicher sah, wie sehr ich mich hinter Rainer verstecke. Dass ich aber nur mit meiner inneren Erzählung, einem „Ja“ als Täterin meiner Lebensreise, auch andere Menschen inspirieren kann. Denn das schwebt mir vor. Das Private ist politisch, wissen wir eigentlich. Also übe ich dafür weiter alles „Innere“, die notwendige Geduld, Gelassenheit, Dankbarkeit und mehr und intensiveres Meditieren. Für mich als Außenfixierte nach wie vor nicht einfach. Aber die besonders dunklen Phasen von Widerstand und Depression, als sei ich für immer hoffnungslos in meinem Opfer-Käfig gefangen, geradezu verflucht aus der Spur geraten, werden kürzer und melden sich seltener. Ein gutes Zeichen, freue ich mich im wachsenden „Stillen“. Die Märchen meiner Kindheit scheinen wahr zu werden. Weiter!
Styx: die Reise beginnt
von Christa Ritter
„Da kann man ja nur hoffen, dass Christa einfach immer weiter schreibt. Auch über die Stutenbissigkeit – denn das Palavern und Krakeelen ist ja das allerschönste rauchige Gewürz dieser Reiseerzählung. Satzweise erinnert das sogar an die großen Reiseerzähler des 19. Jahrhunderts und ihre doch viel mehr materialistischen Entbehrungen. Christa ist begeistert wie ein Kind: Aber auch so traurig, wie es wohl alle Alten auf der Welt sein können, wenn schon der Morgen graut, aber die Party des Lebens gerade so satt und kräftig glüht und doch bitte schön einfach immer nur weiterlaufen soll.“Und um es vorweg zu sagen, Christa Ritter, die E-Mails schon mal mit „von der Herbergsmutter“ beendet, hat sich bei mir Zeile für Zeile ihres E-Books mehr in eine auf das Leben neugierige, junge Frau verwandelt. Die Wahlmünchnerin und Filmemacherin erfüllt damit alle Erwartungen, die sie mit ihrem online-veröffentlichten Live-Tagebuch schon während der Indienreise geweckt hat. Alexander Wallasch in "The European"