Leseprobe: 
Das Harem Experiment, 
von Jutta Winkelmann

Der Film wurde ein Roadmovie. Auf Rädern fuhren wir tagelang durch die Brandenburger Kiefernwälder. Nacktbaden, übernachten mitten im Wald in völliger Stille. Dazwischen sehr persönliche und ehrliche Gespräche über die Utopie der Kommune und ihre Folgen: keine Kleinfamilie, kein Besitz für niemand. Das Private ist politisch. »Revolutionierung des Alltags« und »sexuelle Revolution« hatte die Berliner »Horrorkommune« es damals genannt. Thematisiert wurde auch: Wie überlebt man eine Revolution? Die beiden Männer sprachen über Frauen und Gewalt. Und dann kam es dicke: Wir Frauen störten mit Geschrei, Verweigerung und Tränen, sogar Schlägen. Der Harem tobte. Können Frauen und Männer zurzeit überhaupt nicht miteinander reden, nur streiten? Das derzeitige Dilemma in den sich auflösenden Beziehungen wurde schonungslos und - so merkwürdig das klingt - auch unterhaltsam deutlich. Es wurde eine echte Harems-Situation!

Fritz hatte bald einen neuralgischen Punkt entdeckt: dass wir Frauen Schwierigkeiten haben, wenn eine Art Hierarchie erstellt werden soll. Dass Anna »so eine Art Lehrlingsstatus« innehat, dass die Zwillinge als »Kamerafrauen« nicht so »parieren«, wie Christa es sich wünscht, all das hat er rasch bemerkt. »Wenn es bei euch eine Hackordnung gibt, ist es nicht ganz einfach festzustellen, wer auf wem herumhackt. Einmal sitzt Christa oben und hackt, dann sitzt sie wieder ganz am anderen 

Ende.« Schließlich hackten wir wirklich alle vier wie Käfighühner aufeinander herum. Die Frage entstand zwangsläufig: Warum machen wir das alles? Christa stellte fest: »Rainer ist der Hahn im Korb. Er hält uns zusammen, sonst würden wir nichts miteinander zu tun haben.« Aber es sei auch so, dass die Frauen ihn höchstens ein paar Stunden am Tag aushalten. Die Situation unter uns Frauen eskalierte. Es kam zu Geschrei und Tritten. Gisela hatte ohnehin schon drei Tage lang Migräne. Jetzt war ihr zum Heulen, ich tat es und wollte alles hinschmeißen. Dann ging ich vor laufender Kamera auf Christa los, wollte sie treten und beschmiß sie mit Kieselsteinen. Letztlich war ich wieder eifersüchtig. Eifersüchtig auf Rainers Leichtigkeit, auf seinen Geist, auf seine Freude an sich selber, darauf, dass ich während der Dreharbeiten nicht genügend von ihm beachtet wurde, und auf Gisela und Christa - eigentlich auf alles. Es war zum Durchdrehen. Ich wollte alles mal wieder hinschmeißen. So enden normalerweise Beziehungen. Rainer dagegen forderte, jetzt heiße es, trotzdem »anzutreten« und da durchzugehen. Nicht mehr wegzulaufen und zu glauben, woanders sei es besser. Überall gibt's Kopfschmerzen, gemeine Leute und eine 

böse Welt für die armen kleinen Kinder. (...) Fritz sagte vorhin auch, »man rennt sonst wo herum, läuft und läuft. Schließlich merkt man, man hat sich selbst immer mitgenommen, man war es alles selbst, was man anderen Leuten angehängt hat. Das kann man in dem Alter vielleicht mal begreifen und in bisschen danach handeln.« Während Probleme in »normalen« Beziehungen um des lieben Friedens willen oft unter den Teppich gekehrt werden, wird im Harem nichts verdrängt, nicht einmal vor laufenden Kameras. Das sei, meinte Rainer, »ein großer Gewinn«. 


Jutta Winkelmann, Das Harem Experiment,  1999, 68 - 69